Xxi. §. 3. Beginn der päpstlichen Weltherrschaft mit den Kreuzzügen. 395
beutegierigen Rittern und Knechten der damaligen Christenheit will-
kommener sein, als Abenteuer. Krieg und Raub, wodurch sie alle
ihre Sünde abbüßen und den Himmel verdienen könnten. Mit wel-
cher Luft und frommer Begier zogen sie da aus zu Tausenden, aus
Frankreich, Deutschland, Italien, nacb Klein-Llsien und Palästina bis
vor Jerusalem. Mit welcher Begeisterung und blutigen Hitze dran-
gen sie ein in die gewonnene Stadt und schlachteten rechts und links
Griechen und Saracenen und mordeten und plünderten bis zum
Uebermaß, um dann zerknirscht und mit entblößten Füßen, Psalmen
singend, in das gereinigte Gotteshaus zu ziehen, um Gott die Ehre
zu geben für den blutigen Sieg und sich der Vergebung aller ihrer
Sünden zu getrosten.
Schon von früheren Päpsten war mehrfach auf den Kampf gegen
die mohamedanische Macht als auf eine dringende Psticht der Christen-
heit hingewiesen. Zuletzt noch von Gregor Vii. Die unge-
heuren Vortheile, welche ein solches Unternehmen der gesammten
Christenheit dem Ansehen und der Machtstellung des Papstes als des
Oberhauptes aller Christen bringen inußte, lagen zu nahe, als daß
die hierarchische Klugheit sie nicht hätte erkennen und -ergreifen sollen.
Dazu drängte die ganze werkeifrige, sinnlich begeisterte Frömmigkeit der
damaligen Zeit auf eine solche Bethätigung ihres Eifers für den Herrn
und für die Kirche hin. Schon hatten namentlich die Normannen seit
längerer Zeit den Kampf gegen die Saracenen mit großer Vorliebe
aufgesucht. Die Pilgerfahrten nach dem heiligen Lande waren eine
sehr beliebte Bnßübung geworden bei Hoch und Nieder. Die Noth der
Zeit rief weithin eine Sehnsucht nach etwas Neuem, Ungewöhnlichem
hervor. Da that Papst Urban Ii. den glücklichen Griff und gab das
Losungswort, welches dem unbestimmten asketischen Verlangen vieler
Hunderttausende die bestimmte Richtung nach Jerusalem gab*). Eine
große Kirchenversammlung veranstaltete er zu Clermont 1095, und ent-
zündete durch sein; Thränen und Ermahnungen einen solchen Eifer
unter der ganzen unzählbaren Menge der Versammelten, daß sie unter
dem tausendstimmigen Geschrei: „Gott will es"! sich mit dem Kreuz
bezeichnen ließen und unter der obersten Leitung des heiligen Vaters
sich zum Kriegszuge nach Jerusalem verpflichteten. Wie eine Alles mit
sich fortreißende Fluth brach diese begeisterte Stimmung von Clermont
aus über alle französischen Landschaften und einen großen Theil Ita-
liens und Deutschlands herein. Hohe und Niedere, Männer und Wei-
der, ja Kinder und Greise wetteiferten, dein Zuge sich anzuschließen.
Vom Pflug, von der Heerde, von der Werkstatt kamen sie nicht minder
zahlreich als aus den Burgen, Schlössern und Palästen. Die Zellen
I Die Geschichte von den Gesichten und vorbereitenden Predigten Peter's von
Amiens ist nach neueren Forschungen unglaubwürdig. Er selbst wurde
erst durch den Aufruf des Papstes zu seinen Bolköpredigten angeregt.
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Extrahierte Personennamen: Gregor_Vii Gregor Urban
Extrahierte Ortsnamen: Frankreich Deutschland Italien Palästina Jerusalem Jerusalem Clermont Jerusalem Clermont Deutschlands Amiens
Xxii. §. ]2. Eintritt der spanischen Macht mit ihren Entdeckungen rc. 463
§. 12. Eintritt der spanischen Macht mit ihren Ent-
deckungen in die Völkergeschichte.
Von den östlichen Grenzlündern des südlichen Europa müssen
wir uns, ehe wir wieder zu dem Mittelpunkte unserer Geschichte, nach
Deutschland zurückkehren, noch erst zu dem äußersten Westen wenden,
zu den Völkern der pyrenäischen Halbinsel. Deren Privaterziehung
(wenn man es so nennen mag) war soeben vollendet und sie wur-
den nun berufen zum Miteingreifen in die Entwicklung der europäischen
Christenheit. Es war freilich ein trauriger und bald vollendeter Be-
ruf, der ihnen zu Theil geworden ist, nämlich der, die wankende Macht
des Papstthums und des gesammten Katholicismus mit ganzer Kraft,
mit List und Gewalt zu stützen und ihm neue Siege zu verschaf-
fen nicht bloß in Europa, sondern auch in den fernen Ländern neu
entdeckter Welttheile. Denn obwohl jetzt ein neuer Zeitabschnitt sich
vorbereitet, da ein mündig gewordenes Geschlecht dem Gängelbande
der päpstlichen Priesterschaft sich entzieht und die, welche sich nach
Wahrheit sehnen, die Wahrheit wirklich finden und bekennen können,
so haben wir doch nirgend eine Zusage, daß das Papstreich lediglich
durch die Verbreitung evangelischer Wahrheit gestürzt werden wird.
Das sind ganz andere Mächte, die es stürzen sollen. Wider die Be-
kenner der Wahrheit entwickelt es nach augenblicklichem Zurückweichen
und trotz der bedeutenden Verringerung seines Gebiets eine desto grö-
ßere Energie des Widerstandes und des Angriffs, und Spanien ist es,
welches ihm zu diesem Zweck diesseits und jenseits des Oceans gleich
anfangs und für lange Zeit seine geistigen Kräfte und seine Waffen leiht.
Im ersten Augenblick, da wir uns jetzt von dem jammervollen
Bild des untergehenden Griechen- und des aufsteigenden Türkenreichs
nach der spanischen Halbinsel hinüber wenden, werden wir freilich mit
Bewunderung und Freude erfüllt. Da sehen wir nämlich ein umge-
kehrtes Schauspiel: die einst so mächtige arabische Herrschaft in Spa-
nien geht zu Grunde, das letzte mohamedanische Königreich Gra-
nada wird unterworfen und in großer Herrlichkeit breiten sich die
einst von den Arabern bis in die äußersten Schlupfwinkel der nörd-
lichen Gebirge verfolgten Christen, im Glanze tausendfacher Siege,
als zwei oder drei mächtige Königreiche von den Pyrenäen bis zur Spitze
von Gibraltar aus. Aber so wie man den Blick wendet und im Hin-
tergründe der siegreichen Ehristcnschaaren die Scheiterhaufen flammen
sieht, auf denen Juden und Saracene» und Ketzer zu Tausenden er-
barmungslos verbrannt werden, wenn man in die finsteren Kerker der
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Extrahierte Personennamen: Gibraltar
Extrahierte Ortsnamen: Europa Deutschland Europa Spanien
4*26 Xxi. §. 14. Untergang der Hohenstaufen und unverständiger Triumph ic.
sogar vor Manfred wieder aus Neapel entweichen. Da wandte
dieser sich, wie auch sein Vorgänger schon gethan hatte, an fremde
Fürsten in Frankreich und England, daß sie mit Geld und Truppen
ihm zu Hülfe kämen, ihm hülfen Unter-Italien und Sicilien wieder
zu gewinnen und von ihm zu Lehen zu nehmen. Allein der Papst
starb über diesen Bemühungen, während dagegen Manfred's Macht
sich täglich weiter über ganz Italien ausbreitete, und seine Hofhaltung
so sehr der Sitz der Freude, des heitern Lebensgenusses, der Kunst,
Kraft und Tüchtigkeit ward, daß die glücklichen Zeiten Friedrich's Ii.
wiedergekehrt, ja noch überboten schienen. Auch Urban Iv. (1261
—64), obwohl eben so unversöhnlich und voll Hasses gegen Manfred
wie Innocenz, vermochte nichts gegen ihn auszurichten. Wohl aber
hatte er durch die Einladung Karl's von Anjou, des Bruders von
Ludwig dem Heiligen, König von Frankreich, den großen Wendepunkt
vorbereitet, an dem der Glanz des hohenstaufischen Hauses für immer
zu Grunde gehen sollte. Im Jahre 1265 bald nach der Thronbestei-
gung El emenö'iv. kam dieser finstere, tyrannische, geld-und herrsch-
gierige Mensch mit seinen leichtsinnigen, hochfahrenden und zuchtlosen
Franzosen nach Italien, und schon im Anfang 1266 ward durch die
eine Schlacht bei Benevent ganz Neapel für Karl gewonnen und
Manfred mit seinem ganzen Hause unter entsetzlichen Grausamkei-
ten vernichtet *). Nun war nur noch der zarte Jüngling Conrad in
von Schwaben übrig. Als er vernahm, mit welcher unerhörten Härte,
Blutdurst und Frevelmuth der fremde König in dem schönen Erbgut
seiner Väter herrschte, wie selbst der Papst voller Entsetzen über solche
Greuel sei, als er gar viele Einladungen und Zusprachen von den
Ghibellinen aus Italien empfing, da wagte er hochherzig den kühnen
Schritt, verließ die zärtliche Mutter im Schwabenland und zog mit
geringer kriegerischer Begleitung nach Italien. Wohl fand er Unter-
stützung bei den Ghibellinen, wohl schien ihm einen Augenblick das
Glück zu lächeln, aber auch nur einen Augenblick. In der Schlacht
*) Wir wollen bei diesem greulichen Anfang deö Haufcs Anjou sogleich daran
erinnern, daß sein späterer Fortgang und namentlich sein Ende nichts Anderes
ist, als ein fortgchendcs schreckliches Gericht des Herrn, sowohl in Italien,
als auch in Ungarn, wohin es sich später verzweigte. Durch Gatten- und
Brudermord und blutige Greuel aller Art hat sich dieses Geschlecht selber
aufgeriebeu, ja man kann sagen, es ist in einem Meere von Blut erstickt.
Nicht minder wußte der Herr die übermüthigen und heillosen Franzosen zu
finden, welche in Neapel und Sicilien prahlten und frevelten, noch ärger als
ihr Herr. In der schrecklichen sicilianischcn Vesper fanden sie alle in einer
Nacht ihren Tod (.1282).
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Extrahierte Personennamen: Manfred Urban Manfred Innocenz Innocenz Karl's_von_Anjou Ludwig_dem_Heiligen Ludwig Karl Karl Manfred Conrad Haufcs_Anjou
Extrahierte Ortsnamen: Neapel Frankreich England Sicilien Italien Frankreich Italien Neapel Schwaben Italien Schwabenland Italien Italien Ungarn Neapel Sicilien
Xxiii. §. 9. Die Reformation in der französischen Schweiz und in England. 503
auf den Thron David's in dem neuen Zion, und beanspruchte nichts
Geringeres als die Herrschaft über die gesammte Welt. Man sieht, wie
die Ertreme sich berühren. Dasselbe, was die Päpste alle die Jahrhun-
derte angestrebt, was Niemand eifriger als diese Wiedertäufer bekämpften,
das entwickelte sich jetzt aus ihrer eignen Mitte, eine sinnliche Nach-
bildung und Verzerrung der geistlichen Weltmonarchie unsers Herrn
und Heilandes. Wie hätte solch' ein Greuel lange Bestand haben sol-
len? Diese Propheten und ihre Helfershelfer und ihre Weiber, alle
mit Blut und Wollust und unflätigen Lastern besudelt, erlitten allesammt
die Strafe ihrer Frevel. Das Heer des Bischofs und seiner Bundes-
genossen brach in die Stadt. Da wurde Alles niedergeschlagen, abge-
schlachtet, hingerichtet. Auch in anderen Gegenden Deutschlands, in der
Schweiz, in den Niederlanden sehen wir die Scheiterhaufen flammen und
die Richtschwerter in Bewegung, um der heillosen Wiedertäuferei zu
steuern. Da sind manche fromme und gottselige Männer und Frauen,
die zum Theil unschuldig in den Jrrthum verstrickt waren, jämmerlich
umgebracht. Aber die Bluttaufe wirkte auch hier etwas Aehnliches, wie
bei den Hussiten. Viele wurden nüchtern aus des Teufels Strick,
und aus den Resten erbaute sich die ehrwürdige Gemeinschaft der Tauf-
gesinnten oder Mennoniten. Andere, die nach England, nach Nord-
Amerika geflüchtet waren, haben dort geraume Zeit ebenfalls in demü-
thiger Stille sich selbst erbauend zugebracht. Erst neuerdings, in diesen
Jahren kirchlicher und politischer Gährung, kehren etliche jener unruhi-
gen Geister von dort wieder, um in Deutschland und anderswo ihren
alten Kampf gegen die bestehenden Ordnungen der Christenheit auf's
Neue zu beginnen.
§. 9. Die Reformation in der französischen Schweiz und
in England.
Da der ruhige Fortschritt des Reformationswerkes in unserm
Vaterland für die nächsten 10 Jahre nach dem augsburger Reichstag
(1530) unsere Aufmerksamkeit nicht weiter in Anspruch nimmt, so wird
hier der Ort sein, einen Augenblick hinüberzuschauen nach den Nach-
barländern, wo die Reformation von eigenthümlichen Anfängen aus-
ging und eine besondere Gestalt annahm. Die lutherische Refor-
mation hatte sich in sämmtliche katholische Länder des Nordens und
Ostens Bahn gemacht. Die griechische Kirche und das Osma-
nenreich blieben von dieser Bewegung unberührt. In Italien und
Spanien waren wohl Anfänge, aber keine Entwicklung. Frankreich
aber und England gingen ihren eignen Gang. In England
finden wir eine doppelte Reformation, die eine von oben her, vom Kö-
nig, die andere von unten her, aus dem Volk. Die königliche Re-
formation beschränkte sich ursprünglich darauf, daß der König sich
an die Stelle des Papstes setzte, Klöster einzog, die Geistlichkeit zum
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Extrahierte Ortsnamen: England Deutschlands Schweiz Niederlanden Jrrthum England Amerika Deutschland England Italien Spanien Frankreich England England
594
Xxv. §. 7. Die französische Revolution.
tue blutbefleckten Hände aus; und wenig Wochen später mußte er
vor den kannibalischen Blutbanden mit seiner ganzen Familie aus dem
Schlosse flüchten, wohin? —zu seinen schlimmsten Feinden, zu der Na-
tionalversammlung, oder wie sie sich später nannte, dem Nationalcon-
vent, der ihn jetzt eben für abgesetzt und seiner Krone verlustig erklärte
und ihn mit Weib und Kindern in's Gefängniß warf.
Aber jetzt, da es bis zum Aeußersten gekommen ist, wendet sich unser
Gemüth zum tiefsten und gerechtesten Mitleiden mit dem unglück-
lichen, mißleiteten Monarchen. Ist er klein, schwach und erbärmlich
gewesen im Handeln, so ist er groß und königlich im Leiden.
Schon lange hatte er'sich auf einen gewaltsamen Tod gefaßt gemacht. Und
seit er das gethan, hatte er auch die Ruhe, die Klarheit, die Festigkeit
des Herzens wieder gewonnen. Aendern, retten, wiederherstellen konnte er
nichts mehr. Aber sein Gewissen noch ferner beschweren, dazu konnte
ihn nichts mehr bringen. Den Anlaß zu dem letzten Aufruhr, der
seine Absetzung zur Folge hatte, gab er durch seine entschiedene Wei-
gerung, das ungerechte Gesetz gegen die getreuen französischen Priester
zu bestätigen. Nichts konnte ihn bewegen, an seiner Kirche, seinem
Gott zu freveln. In Gefängniß und Todesnoth schrie er brünstig zu
seinem Herrn und Erlöser, aber mit demüthiger Unterwerfung unter
seine gewaltige Hand. Mit christlicher Würde und Ergebung erlitt
er am 21. Januar 1793 den Tod auf dem Schaffet. Der Bann-
fluch dieses ungeheuren Frevels lastet noch heute ungesühnt auf dem
königsmörderischen Volk, so sehr auch die äußeren Umstände sich ge-
ändert haben. Seine Hinrichtung war das Signal zur weitern massen-
haften Hinrichtung vieler Tausende und Zehntausende, bis endlich das
erschöpfte Frankreich, des unablässigen Blutvergießens müde, sich
selber nach einer Aenderung sehnte, und eine neue Ordnung der Dinge
begann.
Waö sie eigentlich wollten, zu welchem Ziel sie strebten, das
wußten im Beginn der Revolution wohl die Wenigsten unter ihren
Führern, wenn es überhaupt einer wußte. Nur etwas Anderes, etwas
Besseres als sie jetzt hatten, eine Aenderung der unerträglichen Zustände,
und zwar ohne doch sich selber, die eignen Herzen zu verändern. Wie
die bessere Staatsfvriu ’tefdjaffen sein müsse, ob beschränkte (constitu-
tionelle) Monarchie oder Republik, das lag ihnen anfangs noch ganz
im Dunkeln. Nur daß die Aufrichtung der nordamerikanischen Republik
(S. 591) und die dort ausgestellten Artikel der sogenannten allgemeinen
Menschenrechte den meisten Führern der Bewegung, besonders de-
nen, die im Befreiungskriege selber mitgefochten hatten, als Muster und
leitende Grundsätze bewußt oder unbewußt vor der Seele schweben
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628 Xxv. §. 10. Deutschlands sittliche und politische Wiedergeburt.
brütete das Vorgefühl des Untergangs aller bisherigen Herrlichkeit.
Was sollen wir die Einzelheiten der ungeheuren Völkerschlacht näher
beschreiben? Das verwegene Vordringen unserer Preußen, das zähe
Standhalten der Russen, das besonnene Eingreifen der Oestreicher,
die mehrmals wieder aufflammende Siegeszuversicht Napoleon's,
dann seine erneueten Unterhandlungen, endlich seinen verzweifelten Be-
fehl zum Rückzug und die schreckliche Niederlage deö ganzen französi-
schen Heeres? Das alles wird ja in unzähligen Schilderungen der
deutschen Jugend noch immer tvieder zu lesen gegeben, und sie hört
es noch oft wiederholen aus dem Munde der Vater und Großväter,
die selber dabei waren. Aber hinführen wollen wir sie doch auf die
leichenbesäeten Schlachtfelder und ihr die klaffenden Wunden zeigen
und die grausigen Verstümmelungen der deutschen Helden, hinanrufen
wollen wir sie zu den die langen schaurigen Octobernächte hindurch in
Schmerzens- und Todesqual auf der feuchten Erde sich wälzenden
Verwundeten, denen jetzt keine Hülfe, keine Pflege gebracht werden
konnte; hineinbringen wollen wir sie in die 30 schaudervollen Lazarethe,
die in Eile nach der Schlacht in und um Leipzig errichtet wurden,
und wo an 30,000 edle deutsche Jünglinge und Väter unter den
Messern der Chirurgen, unter den Qualen eines verzehrenden Nerven-
fiebers ihr Leben oder doch ihre Gesundheit für immer verloren, und
wollen sagen: siehe diese zerschmetterten Helden, die niedergestreckten
Kämpfer um eine heilige Sache dir an — bist du so vieles Blutes,
so vieler Schmerzen, Mühen und Opfer werth?--------------------
Nach der Leipziger Schlacht konnten sich die Franzosen nicht länger
diesseitsdeö Rheines halten. Jenseits des Rheines fing aber nach der dama-
ligen Geographie schon Frankreich an, und es war einen Augenblick die
Frage, ob die Verbündeten den Feind auch in sein eignes Land hinein
verfolgen sollten. Daß Preußen wollte, daran konnte man nicht zwei-
feln. Auch Oestreich wollte. Aber auch Rußland? Dem russischen
Kaiser schien immer ein starkes Frankreich mit weiten Grenzen zur
Aufrechthaltung der europäischen Weltverhältniffe nothwendig. Da
war es nun große Gnade von Gott, daß er das Herz des geschlagenen
Napoleon immer mehr verstockte, also, daß er auf keine Unterhand-
lungen, auf keine Friedenöerbietungen mit Ernst und Aufrichtigkeit ein-
ging, sonst hätte es leicht geschehen können, daß das linke Ufer des
alten Vater Rhein noch bis heute in französischen Händen wäre.
So aber schritt Blücher mit dem Jahresschluß bei Caub über den
Rhein und befreite die deutschen Rh ein lande aus der zwanzig-
jährigen französischen Knechtschaft. Und Blücher war es auch, der
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Extrahierte Personennamen: Oestreich Gott Napoleon Ernst
Extrahierte Ortsnamen: Deutschlands Schmerzens- Leipzig Frankreich Frankreich Vater_Rhein Rhein
Xxv. §. 13. Nordamerikanische Zustände. 661
einer traurigen Rohheit und Rand- und Bandlosigkeit unter. „Die
da reich werden wollen, fallen in Versuchung und Stricke" — das
hat der Amerikaner in sattsamer Weise bewiesen. Welch ein Lug-und
Trugsystem dort in der Kaufmannswelt, welch eine kolossale Schwin-
delei dort in allen Elasten der bürgerlichen Gesellschaft herrscht, da-
von sind die immerwiederkehrenden großen Handelskrisen, davon ist
der schmähliche Ausbruch eines allgemeinen Bankrotts am Ende des
Jahres 1857 ein hinlänglicher Beleg. Was in monarchischen Staaten
solchem betrügerischen Unwesen doch noch hier und da einige Grenzen
setzt, die Furcht vor obrigkeitlicher Strafe, das fällt in Nordamerika
gänzlich weg. Der dortige Republikaner sieht ja in der Obrigkeit
nichts alö seines Gleichen; er weiß Mittel genug, das Schwert der
Gerechtigkeit, wo es auf ihn herabfahren wollte, unschädlich zu machen,
und kennt keine Autorität über sich. Was man von der Bestechlichkeit
der Beamten und Richter, von der Stellenjägerei, von den Gemein-
heiten und Scandalen bei den gesetzmäßig alle vier Jahre wieder-
kehrenden Wahlen, von den Prügelscenen und Mord und Todtschlag
mitten in der Versammlung der höchsten gesetzgebenden Behörden aus
Nordamerika hört, klingt unseren deutschen Ohren fast wie Fabel.
Einer ihrer eignen Propheten sagt davon: „Was von New-Pork gilt,
das gilt von dem ganzen Lande. Reich werden ohne zu arbeiten,
das ist jetzt das große Ziel der Masse. Schöne Häuser, schöne Equi-
pagen, schöne Kleider, das sind die Triebfedern des socialen Lebens.
Für Millionen Maaren umzusetzen und Papiere zu kaufen, Patente
und Eisenbahnen auszubeuten, das ist das Hauptgeschäft von Hundert-
tausenden. Das Handwerk ruht ganz in den Händen der Einwan-
derer; diese machen unsere Ziegel, bauen und decoriren unsere Häuser,
während Jung-Amerika sich mit tollen, oft nur zu gesetzwidrigen
Dingen befaßt. Revolvers werden offen getragen und werden ohne
Scrupel angewendet. Diebe und Räuber tummeln sich in unseren
Vergnügungsorten herum. Schon kann man des Nachts nicht mehr
ohne Angst aus seinem Hause gehen und die scheußlichsten Mordthaten
spotten der Arme der Gerechtigkeit. Unsere Gefängnisse sind zu enge
geworden und von der Lynchjustiz allein ist, wie es scheint, Ret-
tung zu hoffen. Unsere Gesetze sind Spinngewebe, Geld macht Alleö,
besticht die Richter, wirbt selbst die Polizei als Helfershelfer an. Un-
terschleife und Fälschungen selbst in Staatsämtern sind an der Tages-
ordnung. Die öffentlichen Cassen müssen stark bewacht werden, und
ungestraft bricht der Dieb des Nachts in die Privathäuser. Unsere
gelehrten und wohlthätigen Institute selbst dienen schmutzigen Privat-
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32
Iv. §. 2. Sündliches Verderben der Cananiter.
Miffethat: Hoffart und Alles vollauf, und guter Friede; aber dem
Armen und Dürftigen halfen sie nicht, sondern waren stolz und tha-
ten Greuel vor mir. Und dabei hatten sie ihres Wesens kein Hehl,
sondern rühmten ihre Sünde und verbargen sie nicht (Jes. 3, 9).
Welch eine unglaubliche Frechheit und Schamlosigkeit, daß die ganze
Stadt Sodom, Jung und Alt, das ganze Volk aus allen Enden vor
Lot's Haus kam, und forderten die zwei schönen Fremdlinge von
ihm, um ihre hündische Unzucht mit ihnen zu treiben. Und selbst
die Besten unter ihnen, Lot's Eidame, da er ihnen das nahende
Verderben ankündigte, hatten keine Spur von Gewissensschrecken, son-
dern cs war ihnen lächerlich.
Schon hatte der Herr sie durch ein kurz vorhergehendes Gericht
warnen lassen, da Kedorlaomer mit seinem Heere hereinbrach
und schlug den König von Sodom sammt seinen Genossen und allem
Volk, und nahmen alle Speise und alle Habe und zogen davon.
Hätte man nicht denken sollen, sie würden sich's haben zur Warnung
dienen lassen? Aber als der Herr kam und Nachsuchung hielt, fand
er keine zehn Gerechte, ja ikicht Einen in der Stadt, außer Lot. Da
kehrete er die Stätte um und machte daraus ein ewiges Denkmal sei-
ner Gerechtigkeit, die sich nicht spotten läßt. Dieselbe Gesinnung, die-
selbe viehische Gemeinheit wie in Sodom, dieselben Greuel eines un-
züchtigen Götzendienstes (1 Kön. 21, 26) hatten sich seitdem unter
sämmtlichen Cananitern bis zur höchsten Verruchtheit gesteigert,
da kam Jsrael's Racheschwert über sie und raffte sie alle dahin.
Bei den hamitischen Cananitern finden wir dieselben Charakter-
züge wieder wie bei den hamitischen Aegyptern. Freche Hoffart und
Grausamkeit*) und schamlose Unzucht. Was wird uns doch alles er-
zählt schon von Esau's cananitischen Weibern, die der Rebecca so
viel Herzeleid machen, daß sie nicht mehr leben mag; von der Schän-
dung der Dina in Sichem, von der greulichen Unfläthigkeit der canani-
tischen Männer und Weiber in 1 Mos. 38. Aus ihren Sitten kann
man auf ihre Religion schließen. Ihr Götzendienst ruhte auf denselben
Grundlagen, wie der ägyptische und findet sich durch das ganze vor-
dere Asien in den mannigfachsten Formen, aber in der Hauptsache im-
mer übereinstimmend wieder. Es waren die zeugenden und empfan-
genden, die lebenschaffenden und verderbenden Kräfte der Natur, die
sie als männliche und weibliche Gottheiten verehrten. Statt des ägyp-
tischen Osiris trat in Asien der Baal hervor, der zeugende Sonnen-
gott, und statt der Isis die Aschera, die empfangende Erdgöttin.
*) Man denke an Adoni Bezek's 70 Könige mit verhauenem Daumen unter
seinem Tische (Nicht. 1, 7).
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Extrahierte Ortsnamen: Sodom Sodom Sodom Sichem Asien
Iv. §. 3. Jsrael's Ankunft zumfi Verderben für die Cananitcr.
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Ihnen gegenüber fteht die wilde, kriegerische Ast arte und der Alles
verderbende und verschlingende Moloch. Diesem Verderber, kein
Moloch, wurden die schrecklichen Feueropfer gebracht, die Kinder,
welche in den Armen des glühenden Götzenbildes verbrannt wurden.
Von tiefem gräßlichen cananitischen Götzendienst sagt die Schrift Ps.
106, 37 f.: sie dieneten ihren Götzen und opferten ihre Söhne und
Töchter den Teufeln, und vergossen unschuldiges Blut, das Blut ihrer
Söhne und Töchter, die fte^opferten den Götzen Canaan's, daß das
Land von Blutschulden beflecket ward. Vor diesem Greuelwesen war-
net der Herr die Israeliten 5 Mos. 18, 9—12; „Du sollst nicht thun
den Greuel dieser Völker, daß nicht unter dir gefunden werde der sei-
nen Sohn oder Tochter durch's Feuer gehen lasset, oder ein Weissager,
oder ein Tagewähler oder der auf Vogelgeschrei achtet, oder ein Zau-
berer oder Beschwörer oder Wahrsager oder Zeichendeuter oder der die
Todten frage. Denn um solcher Greuel willen vertreibt sie der Herr
dein Gott vor dir her." Wohin die Phönizier kommen und sich nieder-
lassen, sei es zu Lande oder zur See, dahin verpflanzen sie diesen
schrecklichen Götzendienst. Nicht ohne Schauder berichten eine große
Anzahl heidnischer Schriftsteller von dem grauenhaften Verbrennen der
Kinder auf den phönizischen Colonieen in Afrika, Spanien u. s. w.
Der in Tyrus am meisten verehrte Gott hieß Melkarth (beiden
Griechen Herakles) und war eine Zusammenfassung des Baal und
Moloch-, wie solche bei den Asiaten häufiger vorkommt. Er stellt die
Sonne dar in ihrer wohlthätigen und lebenerweckenden, aber auch in
ihrer versengenden und zerstörenden Kraft. Ihm gegenüber steht die
Astarte, die finstere, strenge, schweigende Göttin, die durch Ver-
stümmelung und Entmannung verehrt wurde, die Nacht- und Mond-
göttin. Aber der Melkarth verfolgt sie mit seiner glühenden Leiden-
schaft nach Westen hin bis an das Ende der Erde. Da endlich ergiebt sie
sich ihm und nun wird aus der finstern Ast arte die lockende Asch er a,
die Geburtsgöttin, die ganz besonders in Sidon und auf der von Si-
doniern besetzten Insel Cypern verehrt wurde. Diese Asch er a (von
Luther gewöhnlich „Hain" übersetzt) ist recht eigentlich die Göttin der
Wollust. In ihren Tempeln wurden die ekelhaften Orgien gefeiert, da
Weiber und Jungfrauen (aus Frömmigkeit!) ihre Keuschheit opferten
und durch wollüstige Fleischesfeier sich dem Dienst dieser Hurengöttin
weihetcn. Das Alte Testament ist voll von Warnungen an die Israeli-
ten, sich vor der Nachahmung solcher Greuel zu hüten, und voll trauriger
Beispiele, daß sie es nicht gethan (Rieht. 2, 13. 3, 7. 6, 25. 10, 6.
1 Sam. 7, 3. 12, 10 u. s. w.).
§. 3. Jsrael's Ankunft zum Verderben für die
Cananiter.
Nach der langen Läuterungszeit in der Wüste kam das Volk
Israel von Osten her an die Grenzen Canaan's, ungefähr da, wo
der Jordan sich in's todte Meer ergießt. Erst diesseit des Jordan
sollte ihr Nachewerk an den Cananitern beginnen, denn erst da be-
v. Rvhden, Leitfaden. 3
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T11: [Reich König Land Stadt Jerusalem Jahr Syrien Sohn Aegypten Zeit], T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern]]
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Extrahierte Personennamen: Luther
Extrahierte Ortsnamen: Afrika Spanien Tyrus Sidon Cypern Israel
Ix. §. 6. Ahasverus und Arlasastha (529 — 521). 109
Dagegen Heereszüge, Kriegsrüftung, Völkerbezwingung war sein
Element. Ihn hatte Gott der Herr dazu ausersehen, um an
Aegypten die Drohungen alle zu erfüllen, die er durch den Mund
des Jesajas, Jeremias und Ezechiel nun hatte so oft und war-
nend verkündigen lassen, und die durch die Verheerungen der assy-
rischen und babylonischen Heere nur erst zum Theil in Erfüllung ge-
gangen waren. Noch stand Aegypten unter seinem eignen Fürsten.
Da mußte Amasis, wie der griechische Geschichtschreiber meldet,
durch eigne Unvorsichtigkeit und Tüuscherei den Zorn des Perserkö-
nigs reizen. Er selber starb zwar ehe die persischen Heere in's Land
drangen. Aber sein Sohn Psammenit mußte für den Frevel seiner
Vorgänger büßen. Sein ganzes Land fiel in die Hände des erzürn-
ten Siegers. Sein Sohn, seine Tochter, er selber wurde getödtet,
die Tempel und Götzen wurden schmählich vernichtet, Alles, was den
Aegyptern heilig war, erwies sich als nichtiges Menschenwerk, da der
erzürnte Eroberer seine Wuth an den Heiligthümern ausließ (325).
Von jetzt an war Aegyptens Eigenthümlichkeit dahin. Schon un-
ter den letzten Pharaonen war fremdländisches Wesen eingedrungen;
die nationalen Krieger waren ausgewandert und durch Soldtruppen
ersetzt, die Priesterkaste mit ihren Göttern und Heiligthümern war in
den Staub getreten. Die uralte Kunst und Weisheit, die sich im
Nilthale entwickelt hatte, erstarb an den Ufern des mittelländischen
Meeres, wohin jetzt der Mittelpunkt des ägyptischen Lebens verlegt
wurde (erst Sais, später Alexandria). Aegypten ward eine per-
sische Provinz, einer der Arme, die zur silbernen Brust gehören
sollten. Aber als der übermüthige Camby se s über die Länder, die
Gott seinem Richtschwert überantwortet hatte, in trotziger Eroberungs-
sucht noch hinausgehen und auch Libyen und Aethiopien gewinnen
wollte, da sprach der Herr zu ihm: bis hieher und nicht weiter.
Sein eines Heer ward unter den Sandwirbeln der Wüste begraben,
das andere konnte vor dem Verhungern nur durch daö Fleisch ge-
schlachteter Kameraden sich retten, und der Wütherich selber starb im
Wahnsinn an einer Wunde, die er unvorsichtig sich selber geschlagen
(522). Seinen Bruder Smerdes, der ihm auf dem Thron folgen
sollte, hatte er schon vorher tobten, und um den Mord vor seiner
Mutter zu verheimlichen, einen andern Großen die Rolle seines Bru-
ders spielen lassen. Der suchte sie auch nach des Cambyses Tode
weiter zu spielen, und hatte sich bereits glücklich der Regierung be-
mächtigt. Aber der Betrug blieb nicht lange verborgen. Nach acht-
monatiger Regierung ward der Pseudo-Smerdes vonsieben vor-
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